Weltliteratur bei Erich Auerbach

McCormick Company, Pictorial Map of the World (1957), Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: Public Domain.

Ein Beitrag von Franziska Effern

Erich Auerbach (*9.November 1892, Berlin; †13. Oktober 1957, Wallingford, Connecticut, USA) war ein deutsch-jüdischer Philologe, der als einer der bedeutendsten des 20. Jahrhunderts gilt. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges emigrierte er aus der Türkei in die USA und veröffentlichte dort seine berühmten Werke Mimesis und Philologie der Weltliteratur. Auerbach greift in seiner Schrift Philologie der Weltliteratur von 1952 das Problem der Weltliteratur auf, welches seiner Meinung nach auf eine kulturelle Vereinheitlichung der Welt zu beziehen ist.

In seinem vorherigen Werk Mimesis deutete er schon auf die Erneuerung und das Ende der Weltliteratur aufgrund einer kulturellen Vereinheitlichung hin. Aufgrund dieser De-Nationalisierung stellt er sich die Frage, ob die goethesche Weise, das Wort Weltliteratur zu verstehen, noch sinnvoll sei, wenn man diese Verständnisweise auf die Weltliteratur der Gegenwart und der Zukunft bezöge. Einen Lösungsweg sieht er in der Philologie, die dazu beitragen soll, die Produktion von Weltliteratur weiterhin möglich zu machen. Denn nach Goethes Verständnis bedarf es bei einer Weltliteratur der Mannigfaltigkeit. Die Philosophie ermöglicht es mithilfe ihres Bezuges zur Geschichte, dass die Menschen ein Bewusstsein für sich selbst als Individuum erlangen. Diesen Vorgang der Entwicklung des Menschen zum Bewusstsein bezeichnet Auerbach als die innere Geschichte. Hierbei spielt die Philologie insofern eine Rolle, dass sie darauf achtet, dass die Menschen ihr Bewusstsein beibehalten und ein Bewusstsein für etwas Gemeinsames und eine Vorstellung vom Menschsein schaffen. Er spricht dem Bewusstsein eine derart hohe Bedeutung zu, da es für das Glück des Menschen entscheidend sei.

Als Leser stellt man sich wohlgemerkt nun die Frage, aufgrund welcher Grundlage ausgerechnet die Philologie dazu in der Lage sei, das Problem der nicht aufhaltbaren De-Nationalisierung und Vereinheitlichung der Menschheit zu lösen. Dies begründet Auerbach in seiner Schrift dadurch, dass die Philologie über eine enorme Materialfülle verfügen würde und wie er es nennt einen historisch-perspektivistischen Sinn besitze. Dennoch muss auch er Zugeständnisse machen, dass die Philologie Problemen gegenübersteht, die mit der Erfüllung der Aufgaben korrelieren. Denn um die Aufgaben zu lösen, würde es Menschen brauchen, die das Gesamte der Weltliteratur beherrschen. Hierbei lässt einen das Wort ‚das Gesamte‘ aufhorchen. Wie will ein einzelner Mensch die Gesamtheit der Weltliteratur kennen? Auch Auerbach gesteht ein, dass ein Kennen der gesamten Weltliteratur nicht machbar sei. Die Folge dieser enormen Materialfülle sind Spezialisierungen in Einzelgebiete innerhalb der Philologie. Jedoch steht Auerbach diesen eher kritisch gegenüber. Zwar seien diese zwar notwendig, allerdings befriedige ihn eine Spezialisierung nicht.

Des Weiteren spricht er das Problem der historischen Synthese an. Das Problem hierbei sei unter anderem, dass der Großteil der Menschen keine geschichtliche Bildung mehr besitzen würde und somit eine Synthese schwierig sei. Dennoch sei sie möglich, da die Philologie Nachwuchs besitze, der befähigt genug sei, diese durchführen zu können. Aber was genau ist diese historische Synthese, von der Auerbach spricht? Auerbach versteht hierunter eine Synthese, die auf einer persönlichen Intuition beruht und nur vom Individuum erwartet werden kann. Dieses kann sie mithilfe seines aus Interesse angeeigneten Wissens durchführen.

Um die Synthese allerdings vollständig abschließen zu können, ist die Findung eines ‚Ansatzes‘ nötig. Unter einer Ansatzfindung versteht Auerbach, dass aus einem größeren Bereich ein kleiner Teilbereich gesondert untersucht wird. In diesem Teilbereich werden Vorkommnisse herausgesucht, betrachtet sowie anschließend interpretiert. Wichtig hierbei ist jedoch, dass die Phänomene über sich und den Teilbereich hinaus auf andere Bereiche ausstrahlen. Dies bezeichnet Auerbach als „Strahlkraft“. Nur so könne eine historische Synthese durchgeführt werden. Als vorteilhaft wird der Methode zugesprochen, dass Erworbenes nicht leicht verloren werden könne, sondern beibehalten würde. Allerdings wirft Auerbach hier wiederum ein, dass trotz der vorherigen Kritik eine Spezialisierung zusätzlich noch notwendig sei. Jedoch ist hierbei die Angemessenheit und die Neu-Auffindbarkeit des Gegenstandes eine Voraussetzung, die immer gegeben sein müsse.

Zusammenfassend ist über die Ansatzfindung zu sagen, dass Konkretheit, Prägnanz und Strahlkraft für Auerbach eine Notwendigkeit darstellen, um einen guten Ansatz darzustellen. Verallgemeinert ausgedrückt, erwartet Auerbach eine Beachtung der Kleinigkeiten und nicht des Großen. Als Ziel der historischen Synthese sieht Auerbach die Konzentration auf das Ganze. Das Ganze in seiner Bewegung soll erfasst werden, hierbei hilft es die einzelnen Bereiche des Großen und Ganzen zu erfassen und zu erkennen was sie ausmacht.

Dieses Ziel findet sich auch in seiner Schlussfolgerung wieder, mit der Auerbach seinen Text beendet. Er führt hierbei auf, dass die philologische Heimat ‚die Erde‘ sei und nicht mehr die Nation, wie es zuvor der Fall gewesen wäre. Ebenso ist mit dem Verschwinden der Nation als Heimat auch der Geist nicht mehr national. Mit diesen Erkenntnissen zeigt Auerbach meiner Meinung nach auf, dass die Weltliteratur und die Philologie international sein muss und ein großes gemeinsames Ganzes darstellt beziehungsweise darstellen soll.

Veröffentlicht von digitaleliteraturfr

Extraordinary Professor of German Literature, University of Freiburg, Germany / Project Head, "Goethe digital", Klassik Stiftung Weimar and Marbach Weimar Wolfenbüttel Research Association, Germany

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